Mussolinis Militärwege
59 km • + 1.725 hm • - 2.724 hm • 05:21:00 Nettozeit
Der Morgen des dritten Tages bringt uns das endgültige Ende der Regenzeit.
Im Morgenlicht können wir auf die Brenner Grenzkammstraße am gegenüberliegenden
Hang schauen. Sie windet sich von Brennerbad durch mehrere Tunnel hinauf zum
Sandjöchl, direkt auf der Österreichisch-Italienischen Grenze.
Mussolini ließ diese Straße ähnlich wie die Wege auf das Schlüsseljoch
(2.212 m) und das Pfundererjoch (2.568 m), die wir an dem Tag
noch befahren sollten, anlegen um im Kriegsfall Südtirol zu verteidigen.
Sie sollten jedoch zu militärischen Zwecken nie gebraucht werden. Dafür
erfreuen sich die Mountainbiker heute über die größtenteils
bestens befahrbaren Wege.
Beim Frühstück kommen wir mit Marco ins Gespräch, einem weiteren
Alpencrosser und der einzige Gast außer uns. Der Schweizer hatte sich
am Vortag von Innsbruck aus auf den Weg gemacht. Da er alleine unterwegs ist,
beschließen wir den Tag gemeinsam zu fahren.
Ich nutzte noch vor der Losfahrt die Gelegenheit und mache ein Interview mit
ihm. Dann geht es hinauf
zum Schlüsseljoch. Ohne Gepäck ist der Weg dorthin fast ganz fahrbar.
Die Steine
in den ausgewaschenen Wasserrinnen machen uns jedoch stark zu schaffen. So schieben
wir einige Passagen hinauf. Die Morgensonne strahlt uns an und die Sicht zeigt
uns rundum ein schönes, fast wolkenloses Panorama. Wir nutzten die Gunst
der Stunde für Video- und Fotoaufnahmen.
Marco bleibt trotzdem bei uns und erträgt geduldig die vielen Fahrpausen.
Carsten: „Ich kann gar nicht mehr fahren, der stechende Schmerz im Knie macht es unmöglich die steilen Rampen des Schlüsseljoches hinauf zu fahren...ich muss fast den gesamten Anstieg schieben...wenigstens passt das Wetter heute. Endlich Sonnen und nicht den ganzen Tag lang frieren.“
Am Schlüsseljoch angekommen
können wir schon sehen, was uns als nächstes erwartet. Der Blick
über das Tal mit dem kleinen Ort Fußendrass lässt einen direkt
auf die Militärstrasse blicken, die sich gegenüber zum Pfunderer Joch
hinauf windet. Unsere Abfaht ist aus grobem Schotter mit einigen dicken Steinen
drin und lädt, entsprechende Federung vorausgesetzt, zum Geschwindigkeitsrausch
ein. Einen Moment lang fahre ich an der Spitze, bis Dave
und Carsten fast doppelt so schnell, wie ich es mir selber getraue an mir
vorbei ziehen. Hinter ihnen fliegen kleine Steinchen durch die Luft und schon
sind sie hinter der nächsten Kurve verschwunden. Bald darauf kommen wir
in den Wald. Zwei Kehren weiter habe ich Dave und Carsten dann wieder eingeholt.
Dave hat sich einen Durchschlag am Reifen zugezogen.
Rolf und ich fahren weiter, um noch ein paar Einstellungen zu drehen. Dabei
komme ich an mehreren kleinen Steinbrücken vorbei, die über eine Wasserrinne
führen. Dort baue ich die Kamera auf und warte auf die anderen. Nachdem
die Einstellung gedreht sind, geht es mit fortan ungebremster Geschwindigkeit
hinab nach Fußendrass.
Dave: „Naja, so war es zumindest gedacht, doch schon nach. 500 Metern habe ich den nächsten Durchschlag! Diesmal kann ich es mir aber nicht erklären. Ich hatte gar nichts gemerkt und es gab auf dem Stück auch keine größeren Steine, die einen Snake Bite gerechtfertigt hätten. Egal, jetzt wird der Reifen konsequent auf drei Bar aufgepumpt. Die nächsten Tage können mit dem prallen Reifen zwar etwas unbequemer werden, doch ist das gar nichts gegen die vier Bar mit denen Marco fährt!“
Dafür hat er sich allerdings eine schöne Stelle ausgesucht. Hier führt der Weg durch einen kleinen grob ausgesprengten Tunnel. Während Dave und Rolf das Fahrrad reparieren erkunden Carsten und ich mit Kamera und Fotoapparat die Gegend. Im unteren Teil ist der Schotter wesentlich feiner und auch die großen dazwischen liegenden Steine fehlen.
Wir hatten erwartet in Fußendrass (1.381 m) noch etwas
zu Essen besorgen zu können. Doch das Dorf besteht wirklich nur aus ein
paar Häusern
. Wir beschließen, dass uns Müsliriegel für
den Aufstieg reichen sollten. Während ich mit Marco vorne weg fahre, fragen
Dave und Rolf kurzfristig noch bei einem angrenzenden Gehöft nach Wasser
und Brot. Ersteres bekommen sie dann auch von der freundlichen Bewohnerin, die
ihnen sogar die Flaschen im Haus auffüllt.
1.200 Höhenmeter geht es von Fußendrass hinauf zum Joch. Bis zu einer
alten zerfallenen Steinbrücke ist die alte Militärstraße ein
gut erhaltener Schotterweg, der sich mit gleichmäßiger Steigung und
vielen Serpentinen nach oben windet. Die Sonne brennt auf uns hinab wie als
Entschädigung für die verregneten ersten beiden Tage. Hinter uns sehen
wir immer wieder zwischen den Bäumen hindurch auf letzte Abfahrt
vom Schlüsseljoch.
Marco ist viel unterwegs und körperlich super fit. Er war erst kürzlich
für drei Monate zum Klettern in Peru und fährt den Alpencross als
Training für den berüchtigten Cristalp Marathon! Neben mir gibt er
ein kräftiges Tempo vor während wir uns Serpentine für Serpentine
nach oben arbeiten. Der Treffpunkt mit den anderen liegt knapp oberhalb der
Baumgrenze bei einer großen Felsplatte,
der links neben dem Weg liegt. Dort angekommen lege ich mich erstmal ins Gras.
Wir befinden uns nun auf 1.850 Meter über dem Meer. Das Pfunderer
Joch liegt bei 2.568 Metern.
Kaum habe ich die Kamera aufgebaut kommt Carsten um die Ecke. Wir beschließen zu dritt noch ein Stück weiter hinauf zu fahren. Marco macht sich sogleich auf den Weg, während Carsten noch einige Fotos schießt. Ich beschäftige mich noch etwas mit Videoaufnahmen und schon sind auch Dave und Rolf wieder bei uns. Kurz vor der eingestürzten Brücke wird der Weg schmäler und die Steine in ihm größer. Ein Stück geht es fast eben den Trail entlang. Von der Brücke, von der vor wenigen Jahren noch die Hälfte stand ist kaum noch was übrig. Die Fundamente liegen flach im Wasser. Wir schultern unsere Fahrräder und balancieren über die Trümmer an das andere Ufer. An einer Stelle, an der zwischen den Brückentrümmern eine große Lücke klafft hat glücklicher Weise jemand ein Brett darüber gelegt.
Von jetzt an ist die Militärstraße nur noch ein schmaler
Fußweg. Die Serpentinen werden enger und die Steigung
extremer. Die anderen sind mir nun weit voraus. Ich habe mich durch die Schönheit
der Natur etwas aufhalten lassen. Bald durchquere ich mein erstes großes
Schneefeld der Tour.
Das Joch selber ist mehrere Meter unter dem Schnee begraben. Auf der Kante stehend
haben wir einen wunderbaren Ausblick auf die mit Schneefelder
übersäte Abfahrt, die uns nun bevor stand. Gemeinsam machen wir
uns nach Fotos und Videoaufnahmen
über die letzten Gummibärchen aus Rolfs Rucksack her. Marco verabschiedet
sich hier. Er war schon vor uns oben angekommen und fror nun in den dünnen
Bikerklamotten. Die Kulisse ist wunderbar bei der Sonne. Den Beginn der Abfahrt
meistern wir noch gemeinsam mit Marco, dann trennen sich unsere Wege. Der Weg
vom Pfunderer Joch ins gleichnamige Tal ist einer der schönsten Singletrails
der Alpen. Während wir oben noch mit Schneefeldern
kämpften, kamen wir bald über saftige Wiesen und Bachläufe.
Carsten: „Der Trail sieht besser aus, als ich befürchte habe. Als ich 1997 das erste mal hier runter bin waren noch nicht viele Biker hier, inzwischen fahren hier jedes Jahr Tausende durch. Nach einer Bachdurchfahrt kommen wir auf eine Kuppe und blicken auf das, was uns noch erwartet: Ein Trail der Spitzenklasse mit unzähligen Spitzkehren...So einen Blick hat man selten auf einen Trail und Roland baut die Kamera auf, um uns bei der Abfahrt zu filmen“
Oben ist der Weg sehr sandig. Mit der Vorderbremse muss man hier sehr sparsam umgehen. Weiter unten dann verwandelt sich der Weg immer mehr in einen Wald und Wiesentrail mit vielen spitzen Kurven die eine Freude für Fahrtechnikkönner darstellen. Man kommt bei einer kleinen Alm raus, die auch bewirtet ist. Wir fahren jedoch weiter. Ab hier geht ein Fahrweg ins Tal. Dave und Carsten finden noch einen Trail, der einige hundert Meter parallel zum Fahrweg nach unten führt. Während die beiden in diesen einbiegen rasen Rolf und ich den Schotterweg nach unten. Fünf Minuten später sind wir wieder beisammen und fahren ab, auf der Suche nach etwas zu Essen. Es ist nun schon kurz nach siebzehn Uhr.
Rolf: „Der Forstweg wird im unteren Ende nochmal steil und hat zwei betonierte Fahrspuren. Ich nehme eine von beiden. Plötzlich kommt mir ein Motocrosser entgegengeschossen. Obwohl ich nicht sonderlich schnell bin verfehlen wir uns nur knapp. Was muss die Knalltüte auch auf meiner Seite fahren…“
Carsten: „Ich schone meine Hinterradbremse, der
Belag ist ziemlich fertig. Auf der Schotterpiste wird nur noch vorne gebremst...jetzt
stinkt´s halt ein wenig....
Den ganzen Tag noch nichts Richtiges gegessen, jetzt ne ordentliche Portion
Nudeln, das wär´s. In dem Kaff hier gibt´s leider nichts. Jetzt
wird es aber Zeit, was zu bekommen...“
An einem Sparlanden werden wir schließlich fündig. Wir kaufen eine
Brotzeit ein und wollen uns auf eine anliegende Wiese legen. Die Verkäuferin
rät uns aus der anliegenden Überdachung eines Feuerwehrgebäudes
eine Bierbankgarnitur zu nehmen. Freudig folgen wir dem Rat und machen
es uns gemütlich.
André und Michael brauchten eine Weile, bis sie uns finden. Sie haben
sich in den Tälern verfahren und erreichen uns erst um halb sieben.
Rolf: „Unser Filmteam staunt das erste Mal so richtig, welche Mengen Essen vier Mann nach so einer Tour in kurzer Zeit vernichten. Solange noch etwas da ist wird gegessen, egal ob Brot, Wurst, Bergkäse, Tomaten, Mozarella, Joghurt oder Schokolade und Kekse.“
Carsten: „Beim Aufstieg ist mir eine Idee gekommen, wie ich meine Bremsbeläge wechseln kann. Ich säge den Sicherungsstift der Marta einfach durch und fädle den Belag heraus. Dann wird die Sache mit einem Draht gesichert und fertig. Zum Glück ist im Begleitfahrzeug eine Säge, so dass ich die Reparatur durchführen kann...“
Wir beschließen den Abend gemeinsam zu Biwakieren. Wir wollen noch bis
Montal fahren. Ins Pustertal sind wir schnell abgefahren und queren die stark
befahrene Straße um den Radweg am anderen Ufer der Rienza zu nehmen. Dieser
ist teilweise etwas verwirrend beschildert und an einer Stelle aufgrund eines
Erdrutsches und durch eine Baustelle unterbrochen. Wir kämpfen uns trotz
allem durch und genießen somit eine sehr schöne Strecke, die uns
nach einem kurzen Tragestück sogar mit einem Singletrail belohnte.
Von Ehrenburg an geht es dann noch mal 150 Höhenmeter hinauf, über
einen Hügel nach Montal. Es ist nun kurz nach zwanzig Uhr. Endlich mal
ein Ankommen bei Tageslicht. Am Brunnen des Dorfes laben wir uns. Dann gehen
wir in das Gasthaus Alpenrose in der Ortsmitte um Pasta zu essen.
Es ist Mittwoch und eigentlich Ruhetag. Doch wir bekommen trotzdem noch etwas
aufgetischt. Michael und André lassen wieder auf sich warten.Ich mache
mir Sorgen, ob sie noch etwas zu Essen bekommen, wenn sie so spät hier
auftauchen. Sie kommen erst um viertel vor neun an und da gibt es im dem Gasthof
leider tatsächlich nichts mehr zu essen. Das war dann wohl nichts mit dem
gemeinsamen Verbringen des Abends. Carsten hatte zum Glück schon frühzeitig
eine Wiese ausgekundschaftet, auf der wir nächtigen konnten. Er zeigt den
beiden den Platz und dann fahren sie wieder mit dem Auto gen St. Lorenzen um
dort noch etwas in den Magen zu bekommen. Wir vier nehmen noch schnell die Schlafsäcke
aus dem Auto und legen uns bald nieder. Die Nacht ist lau und es bleibt völlig
trocken. Morgens um fünf wird es etwas kühl. Doch die Schlafsäcke
sind OK. Die Sterne lächelten uns die Nacht über an und die nahe gelegene
Straße bleibt des Nachts ruhig.
Dave: "Nachts wache ich mehrfach auf und merke zum Glück noch frühzeitig wie gereizt meine Mandeln auf die kalte Luft reagieren. Ich versuche wiederholt den Kopf möglichst gut im Schlafsack zu verstecken. Irgendwann wird es so frisch, dass ich auch die Beinlinge wieder hochziehe. Ich hatte sie zum Glück nicht ausgezogen, war ich doch von vorneherein etwas skeptisch ob meines leichten Schlafsacks. Ich hatte ihn bisher nur auf Besuch zum Übernachten benutzt - drinnen wohlgemerkt! Carsten ergeht es lustiger Weise genau anders herum – er liegt schweißgebadet in seinem Himalaya-Schlafsack."