Regenfahrt nach Südtirol
78 km • + 2.654 hm • - 2.583 hm • 06:32:00 Nettozeit
Um sieben Uhr sind wir wieder fit. Das Matratzenlager war uns eine gute Heimat.
Beim Hinuntergehen in die Gaststube spüre ich den Muskelkater in den Oberschenkeln.
Carsten kommt wegen seinem angeschlagenen Knie kaum die Treppen hinunter. Die
Wirtin schätzt, dass wir heute Glück mit dem Wetter haben werden.
Den Aufstieg zum Geiseljoch (2.291 m) filme ich mehrfach bis
wir oben sind. Dann kommt der Nebel
wieder. Mit Aussicht ist’s nichts. Es wird kälter. Wir fahren ab
und der Regen setzt ein - stärker als Tags zuvor und anhaltender.Der Schotterweg
wird unberechenbar. Es ist nur noch 5 Grad warm. Wir wollen die Fahrstraße
nach Lanersbach (1.280 m) über einen Wanderweg abkürzen
und landen in einer Baustelle.
Carsten: „Da ist ein Wanderweg nach Lanersbach ausgeschildert und wir finden ihn nicht, das kann doch nicht sein. Ich latsche zwischen dröhnenden Baggern im Schlamm umher und suche den Trail...wegebaggert, versteckt zwischen all dem Zeug hier? Na egal, macht vermutlich eh keinen Sinn bei dem Wetter, also wider zurück, den Berg hoch und auf Teer runter“
Das motiviert bei diesem Wetter nicht gerade. Entsprechend langsam kommen wir
vorwärts. In Lanersbach „überfallen“ wir erstmal einen
Spar-Laden. Carsten ist überzeugt davon, dass es aufreißt. Tatsächlich
tröpfelt es nur noch leicht. Ein Skigebiet im Sommer und dann noch im Regen.
Es gibt kaum etwas, was trostloser aussieht. Die Straßen werden für
die nächsten Touristenströme erneuert. Überall wird gebaut. Überall
Lehm, Schmutz und kitschige Hotels mit vielen Sternchen.
In Hintertux sucht Carsten nach einem Fahrradladen, nachdem
er eine Hinweistafel gesehen hat. Der Kopf einer Innensechskantschraube an der
Scheibenbremse hat sich beim Versuch des Öffnens gespalten. Der Wechsel
des Belages ist nun unmöglich.
Carsten: „So was nennt sich Bike-Service? Der dilettantische Typ in seiner düsteren Schmuddelwerkstatt im Intersport in Hintertux hat wohl noch nie ne Scheibenbremse gesehen, von anständigem Werkzeug ganz zu schweigen. Schade um die Zeit, die ich hier vertrödelt habe und der Belag ist immer noch nicht gewechselt...normal ist das ja nie ein Problem, daher hatte ich das zu Hause ausgelassen und die neuen Beläge nur eingepackt ...
Nachdem Carsten unverrichteter Dinge zurück ist fahren wir dem ersten
Wegweiser Richtung Tuxerjoch (2.340 m) nach. Es sollte der
Falsche sein. Der Fahrweg geht schon beim Ortseingang ab. Wir müssen noch
mal umkehren. Es hört nicht auf zu regnen. Während des Aufstieges
weiß ich nicht, ob die Nässe überall am Körper durch die
Regenjacke hindurch oder von mir kommt. Zum Glück ist die Forststraße
gut fahrbar. Wir machen schnell Höhe und über der Baumgrenze öffnet
sich auf einmal der Himmel und die Sonne kommt hervor.
Gegenüber sehen wir den Hintertuxer Gletscher mit den Skifahrern.
Der Wanderweg vom Tuxerjoch nach Kasern (1.625 m) ist ein schmaler
Pfad der sich im oberen Teil zwischen
dem Geröll hindurch windet und mit steinernen Absätzen durchzogen
ist. Im unteren Teil wird er zu einem klassischen Wurzeltrail.
Carsten: „Früher war das Tuxer Joch kein beliebter Pass, da die Abfahrt eigentlich unfahrbar war. Nun zeigt sich ein anders Bild, der Trail wurde anständig ausgebaut und ist traumhaft zu fahren. Schöne Spitzkehren, verblockte Schlüsselstellen und alles auf einem handtuchschmalen Pfad. Zum Glück ist der Weg relativ trocken, da es auf dieser Seite des Berges kaum geregnet hat...“
Bis auf eine Ausnahme, eine steile Treppe mit schief zueinander stehenden Holzstufen,
ist er komplett fahrbar und wunderschön. Die vielen Spitzkehren und Absätze
machen ihn zwar technisch anspruchsvoll, doch trotzdem kann man mit etwas Glück
in einem „flow“ hinunterkurven.
Ich fahre als Erster in den Trail und bekomme immer mehr Lust auf Geschwindigkeit
und dem Herumzirkeln um die Kurven und um die Steine. In einer spitzen Rechtskehre
überschätzte ich mein Fahrkönnen dann doch etwas. Der Rucksack,
durch die Kamera
schwerer als sonst, tut sein Übriges und so werde ich
über den Lenker gehoben und rolle leicht über den Rucksack ab. Um
die Kamera brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Ich hatte sie gut in einer
mit Schaustoff ausgeklebten Kunststoffbox untergebracht. Mein Ellenbogen schlägt
jedoch auf einem Stein auf. Nach dem Sturz schaue ich mich um. Die anderen Biker
sind noch mehrere Kehren über mir. Dave packt gerade seinen Fotoapparat
aus. Schnell baue ich die Kamera auf um die drei beim Abfahren zu filmen. Durch
Regenjacke und Armlinge geschützt habe ich mich nicht verletzt.
Der Trail bleibt atemberaubend schön. Kurz nach der Baumgrenze kommen einige
Holzstufen. Sie sind noch feucht vom Regen und so steigen wir alle ab.
Dave: „Wegen der Fotos bin ich der letzte unserer Gruppe. Auf einmal steht Carsten mit seiner Kamera vor mir an einer Schlüsselstelle, hinter der einige Meter später die erwähnte Treppe beginnt. Über die ersten rutschigen Rundhölzer komme ich noch gut rüber, doch die nächste Stufe ist etwas höher und die restlichen ganz schön steil. Nee, nicht auf dem Alpencross! Ich komme gerade noch zum Stehen und blicke auf zwei Wanderer hinab, die wohl schon mit einem spektakulären Sturz gerechnet hatten.“
Ich freue mich. Endlich macht das alles wieder einen Sinn. Nach fast zwei Tagen Regen nun dieser Trail, die Sonne und freundliche Menschen um uns herum. So kommen wir am Kaserner Bach entlang ins Schmierntal. Das Filmteam ist schnell zur Stelle und so können wir noch ein paar Einstellungen drehen. Wir suchen uns dazu eine Brücke aus, hinter der unsere Abfahrt mit vom Tuxerjoch zu sehen ist. Die Tuxer Alpen sind nun durch die Wolken von der Sonne bestrahlt.
Dave: „Nach der letzten Aufnahme warten Carsten und ich an einem Parkplatz auf unsere Filmcrew, während Roland und Rolf mit ihnen die weitere Planung durchsprechen. Carsten versucht noch irgendwie an seine Bremsbeläge zu kommen, als ich einen Drop entdecke. „Hey Carsten, schau mal was ich gefunden habe!“ Als ich auf dem Asphalt lande, gibt es ein metallisches Geräusch. Den Klang kenne ich doch. Mist, am Hinterrad ist tatsächlich eine Speiche gebrochen und ich habe keinen Ersatz dabei! Na, zum Glück bin ich mit Downhill-Felgen unterwegs. Die müssten das ja locker wegstecken. Ich spiele noch ein wenig mit der Speichenspannung, dann geht es weiter - mit 31 Speichen.“
Nach etwa zwei Stunden fahren wir weiter das Schmierntal hinab. Schon wieder
ist es nach 18 Uhr und wir überlegen ob es noch Sinn macht weiter zu fahren.
Doch hier zu übernachten würde uns am nächsten Tag eine noch
größere Etappe bescheren. Und was das Wetter am nächsten Tag
noch für uns bereithalten wird ist auch unklar. Ich will unbedingt noch
an diesem Tag über den Brenner (1.377 m). In Südtirol
ist die Regenwahrscheinlichkeit wesentlich geringer.
Das Tal hinab kann man der alten, jetzt für den Autoverkehr gesperrten
Straße folgen. Die ausgebaute Trasse windet sich steil am Rand des Tals
hinauf. Überflüssige Höhenmeter, die man sich sparen kann. Zudem
ist die alte Straße, die dem Bachlauf folgt landschaftlich viel schöner.
Kurz vor der Brennerstraße gehen beide Straßen dann wieder zusammen.
Mit dem Verkehr haben wir um diese Uhrzeit Glück. Auf der Brennerstraße
ist kaum was los. Bis zum Brenner selber radele ich nun voraus, um am Brunnen
gegenüber des Bahnhofs auf die anderen zu warten. Nur wenige Autos überholen
mich und mit den leer stehenden Grenzposten wirkt es hier fast etwas ausgestorben.
Alle Geschäfte haben um diese Uhrzeit schon geschlossen. Ich fülle
meine Trinkflaschen auf und sehe dann auch schon Carsten heranradeln, gefolgt
von Dave und Rolf. Bevor wir weiter fahren, rufen wir noch bei der Enzianhütte
(1.904 m) an um unser Kommen anzukündigen. Zudem hatten wir auf der Karte
einen Weg gesehen, der kurz nach dem Brenner zur Enzianhütte führte.
Es gefiel uns sehr auf ihn auszuweichen statt auf der Straße bis zu der
Abzweigung des Fahrweges kurz nach Brennerbad (1.309 m) zu
fahren. Doch hier wird uns von der Wirtin der Enzianhütte abgeraten. Das
sei nicht so gut zum Biken. Und es war ja nun auch schon wieder spät und
der Anstieg zur Hütte würde sicher noch etwas Zeit kosten.
Es wäre ja schon schön einmal bei Tageslicht anzukommen. So heizen
wir die Straße hinab bis Brennerbad und dann den Fahrweg hinauf. Die Enzianhütte
liegt auf 1.904 Meter über dem Meer. Gut 600 Höhenmeter geht es nun
noch mal hinauf. Eine Stunde sollten wir dafür brauchen. Der größte
Teil des Weges
ist geteert und führt mit gleichmäßiger Steigung
in Serpentinen durch den Wald. Kurz vor der Hütte
habe ich dann noch Zeit einige Videoaufnahmen im Abendlicht zu filmen. Die Landschaft
ist im warmen Rot der untergehenden Sonne getaucht.