Das erste Tour-Highlight
42 km • + 2.770 hm • - 1.920 hm
König Vittorio Emanuele III. ließ im Gebiet rund um den Gran Paradiso, dem mit 4.061 Metern höchsten Berg der Grajischen Alpen, zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu seinem Jagdrevier erklären. Um alle Teile des riesigen Gebietes bequem zu erreichen, wurden unzählige Reitwege angelegt, die zum Teil bis in Höhen von über 3000 m führen. Und einer dieser Reitwege soll uns heute zum Col Lauson (3.295 m) führen, einen der höchsten mit dem Bike bezwingbaren Pässe.
Große Teile des 1.600 hm langen Anstieges sind fahrbar. Allerdings hat
das vergangene Jahrhundert seit der Errichtung der Wege Ihre Spuren hinterlassen,
so dass man es immer wieder mit längeren Schiebepassagen zu tun bekommt.
Gleich zu Beginn erwartet uns ein kurzer unfahrbarer Abschnitt, da der Weg mit
groben Felsbrocken gepflastert ist. Oberhalb der Baumgrenze ist der Weg jedoch
in einem sehr guten Zustand. So arbeiten wir uns langsam in der grandiosen Landschaft
nach oben und genießen bald die Morgensonne beim Aufstieg.
Die Landschaft ist einzigartig, im Hintergrund blicken wir immer wieder zurück
auf die gestrige Etappe und die unvergessliche Abfahrt vom Colle
d´ Entrelor. Das ehemalige Jagdrevier aus dem 1922 der Gran-Paradiso-Nationalpark
hervorging ist ein Traum für den modernen Jäger, den Trailhunter.
Wir fühlen uns wohl hier und genießen den mühsamen Aufstieg.
In endlosen Serpentinen
windet sich der Trail höher und höher. Abermals sehen wir Steinböcke
die oben in den steilen Hängen nach Futter suchen.
Je weiter wir nach oben kommen, desto karger wird die Landschaft. Ab der 3.000-Meter-Marke
dominiert blanker Fels in der rauhen Gerölllandschaft.
Wir gehen wieder einmal zum “fraxn”
über. Das Bike quer über die Schultern gelegt lässt sich der
beschwerliche Aufstieg im Geröll gut meistern. Dave und ich sind mit Bergstiefeln
ausgestattet und fühlen uns bedeutend wohler in diesem Gelände als
Rolf und Roland.
Blicke schweifen umher, wir genießen die Einsamkeit und die traumhafte
Gebirgswelt.Das Geröll nimmt kein Ende, der Atem geht schwer, die Sonne
brennt unbarmherzig. Kurz
vor dem Pass wird der Weg noch einmal sehr steil, bevor wir in einem letzten
Kraftakt endlich den Übergang erreichen und sich vor uns ein neues Panorama
auftut, bei dem wir in der Ferne das vergletscherte Monte Rosa Massiv ausmachen
können.
Nach einer Rast
auf dem glatten, von der Sonne erwärmten Felsen beginnt der Abfahrtsspass!
Nach ein paar engen Kehren meistern wir eine leicht ausgesetzte
Passage, schlängeln
uns am Hang entlang und winden uns schließlich wieder in schmalen
Kehren ins Hochtal hinab. Dave greift in die Trickkiste und meistert die
engen Spitzkehren mit beeindruckender Fahrtechnik.
Der gut ausgetretene Weg führt uns technisch unterhaltsam, doch weitgehend
flowig durch kleineres Geröll ins Tal.Nur fliegen kann schöner sein!
Schließlich erreichen wir hungrig das Rifugio Vittorio Sella
(2.584 m) und bestellen uns erst einmal eine Portion Nudeln. Leider ist die
Portion mickrig und die Soße tatsächlich überhaupt nicht gewürzt.
Egal, wir sitzen in der Sonne, schauen dem bunten Treiben um uns herum zu und
brechen bald wieder auf in Richtung Cogne (1.534 m).
Noch einmal wird der Weg
sehr spannend. Leider ist dieser unterhalb der Hütte extrem stark begangen
und die unzähligen senkrecht stehenden Steinplatten in den Kehren bremsen
uns immer wieder aus. Meist nehmen wir diese Hindernisse als sportliche Herausforderung
und versuchen die verzwickten Passagen fahrend zu bewältigen. Dennoch hält
sich der Spaß hier in Grenzen und man muss höllisch aufpassen, sich
keinen Platten einzufahren oder gar die Felgen zu demolieren. Und dann passiert
es, ich bin einen kurzen Moment unachtsam, bleibe mit dem linken Pedal an einem
Felsen hängen. Ich strauchle, fange mich wieder und fahre weiter.
Nix passiert? Nein, dieser dumme Fahrfehler hat mir tatsächlich die ganze
Kurbel verbogen. Das Pedal scheint intakt zu sein, wackelt aber. Zudem läuft
die Sache jetzt äußerst unrund und ich brauche einige Meter Abfahrt
um mich an diese neue Situation zu gewöhnen.
In einer Tourenbeschreibung aus einer Bikezeitschrift haben wir über den
weiteren Wegverlauf folgendes gelesen: “auf der Alta Via 2 –
im engen Val Lauson ist die alte Wegtrasse des Reitweges wegen Steinschlaggefahr
und Verfall gesperrt, Umgehung auf neuem Wanderweg, insgesamt etwa 40 min Schieben
nach Cogne“.
Wir erreichen schließlich den besagten Abschnitt, überqueren den
Bach auf einer schmalen Holzbrücke und müssen danach etwa 5 min bergauf
schieben. Und dann erreichen wir die angebliche Schiebepassage, die sich für
uns sofort als schönster und interessantester Teil der ganzen Abfahrt entpuppt.
Verblockter Fels,
Holztreppen, quer liegende Stämme, tiefe Rinnen, lockeres Geröll und
immer wieder griffiger Fels sind ein wahres Paradies für Fahrtechnik-Akrobaten.
Jede Kehre bietet eine neue fahrtechnische Herausforderung. Wir haben Spaß,
unendlich viel Spaß und wir hoffen inständig, dass dieses “Schiebestück”
niemals enden wird.
Die Felsen laden zum Spielen
ein und nach mehrmaligem Befahren hat sich eine staunende Menschentraube von
Wanderern um uns herum gebildet. Erstaunt und beeindruckt von unserem Tun bleiben
die Zaungäste immer wieder stehen und vergessen fast ihren Weg fortzusetzen.
Das Ganze spielt sich irgendwo im Grenzbereich zwischen S3
und S4 der Singletrail-Skala
ab. Und wieder einmal zeigt sich, dass sich die Einteilung in Schiebe- oder
Fahrstück als völlig untauglich erweist.
Schließlich wird der Trail wieder einfacher, windet sich in einigen
Serpentinen hinab und wir erreichen das Tal. Die letzten Kilometer bis Cogne
führt ein Schotterweg am Bach entlang. Glücklicherweise hat mein wackelndes
Pedal die ganze Abfahrt über gehalten. Ständig bin ich mit der Angst
gefahren, dass dieses plötzlich abbrechen könnte. Nicht auszumahlen,
was in diesem Fall auf dem technisch anspruchsvollen Trail hätte passieren
können!
In Cogne angekommen teilen wir uns auf. Roland bewacht die Bikes, Dave und Rolf
versuchen eine Unterkunft ausfindig zu machen. Ich suche einen Bikeshop und
versuche irgendein Ersatzteil für meine Kurbel zu finden. Vergeblich, außer
einiger Sportgeschäfte mit dem üblichen Outdoor-Equipment und einem
kleinen Baumarkt gibt es nichts. Schließlich kann ich mir wenigstens in
einer Autowerkstatt einen 15er Maulschlüssel ausleihen und mir den Schaden
an der Kurbel genauer betrachten: Ich demontiere die Pedale, Das Gewinde in
der Kurbel ist ziemlich Matsch, einzelne Gewindegänge rieseln als Aluspäne
zu Boden. Das Pedal ist unversehrt, die Kurbel ziemlich krumm. Zum Glück
ist das Gewinde noch tragfähig, so dass ich das Pedal wieder montieren
und sogar ganz fest ziehen kann. Zumindest wackelt nun nichts mehr, ich kann
weiter fahren!
Dave und Rolf haben inzwischen heraus gefunden, dass 1.000 m weiter oben Richtung
Colle Pontonnet (2.897 m) noch ein Rifugio existiert, welches
auf unserer Wanderkarte nicht eingezeichnet ist. Schnell beschließen wir
dort zu reservieren und den Anstieg am Abend noch in Angriff zu nehmen. Wir
essen noch ein Eis, besorgen in einem Alimentari noch ein paar Lebensmittel
und brechen auf. Dabei kommen wir nochmals an dem kleinen Baumarkt vorbei.
Moment mal, was mach ich wenn Das Gewinde nicht mehr trägt!? Ohne Werkzeug?
Was würde Mac Guiver machen? 15er Maulschlüssel und Zweikomponenten-Epoxidkleber
für 12,-EUR wandern ins Gepäck - sicher ist sicher!
In Lillaz (1.617 m) füllen wir noch mal unsere Trinkflaschen
und dann geht es bergauf. Zunächst auf einer kleinen Teerstraße,
später auf Schotter führt der
Weg nach oben.
Im Abendlicht fahren wir durchs Vallone di Urtier zum Rifugio
Sogno di Berdze (2.526 m).Wir erreichen diese erst kurz vor Einbruch
der Dunkelheit. Das Abendessen ist vorzüglich und reichhaltig und das Bier
schmeckt nach diesem gelungenen Tag heute außerordentlich lecker.
Später fallen uns die frisch renovierten sanitären Anlagen auf. Neben
den schief eingebauten Toiletten gibt es auch eine, bei welcher man den Klodeckel
nicht ganz hochklappen kann, weil er gegen den Wasserbehälter stößt.
Und dann verbringen wir die Nacht beim Spritgeruch des Dieselaggregats, welches
den ganzen Lagerbereich durchzieht. Na ja, Nase zu und durch ...