Bike & Hike
72 km • + 2.000 hm • - 3.375 hm
Heute wollen wir parallel zum Rhonetal, zwei Täler querend, zurück Richtung
Sion. Dazu geht es zuerst einmal hinauf nach Jungu (1.955 m),
einem malerischen Weiler
direkt über den senkrechten Felswänden von St. Niklaus (1.127
m). Er läßt sich über einen schönen Trail erreichen, der
sich die steile Felsflanke hochwindet. Oder aber ganz bequem über eine Luftseilbahn!
Und da wir noch einiges auf dem Programm stehen haben ...
Die Kabine ist allerdings zu klein für die Räder. Sie werden von einem
betagten Herrn, der die stündlich fahrende Seilbahn bedient, mit einigen
Hanfseilen außen an den Gondeln verzurrt. Die folgende Auffahrt,
Hunderte von Metern über dem Abgrund in eine kleinenBlechdose sitzend, ist
dafür aber auch ein Erlebnis der besondern Art!
Kurz nach Jungu ist der Augstbordpass schonn beschildert.
Der Trail führt steil durch einen märchenhaften Lärchenwald.
Die Bäume hier müssen Jahrhunderte alt sein. An Fahren ist nicht zu
denken, daher sind wir schiebend und tragend unterwegs. Wir haben bereits knapp
200 Höhenmeter bewältigt, als Dave an der eingeschlagenen Route zweifelt.
Immer wieder fragt er nach dem GPS Track. Diesen habe ich zu Hause am PC generiert,
anhand einer selbst kalibrierten Karte. Dazu die Wegweiser. Klar, wir sind auf
dem richtigen Weg zum ... jedoch nicht auf der geplanten Route!
Als uns dies letztlich klar wird, ist es fast zu spät. Zu viel Zeit haben
wir auf dem vermeintlich richtigen Weg verbracht. Immer wieder versperrt uns
Nebel die Sicht. Gespenstisch die alten Bäume um uns herum.
Dann die Erkenntnis: Wir hätten bereits in Jungu die Beschilderung ignorieren
und uns zunächst weiter nach Norden halten müssen! Die Karte im GPS
war ungenau kalibriert, zudem war der Zoomfaktor des Gerätes zu grob eingestellt.
Egal, wir beschließen weiter auf dem eingeschlagenen Weg zu bleiben und
die zusätzlichen Höhenmeter rund um den Berg Trära in Kauf zu
nehmen.
Jetzt lichtet sich der Nebel ab und zu und gibt kurz den Blick auf den Dom (4.545
m) frei, den höchsten innerschweizer Berg. Sein mächtiger Eispanzer
dominiert den Horizont im Osten.
Der Weg wird zusehends unwegsamer. Wo eben noch große Steinplatten zu
einem fahrbaren Weg aufgeschichtet waren, ist bald nur noch grobes Geröll
vorhanden. Wir schultern die Bikes und während Dave und ich mit den festen
Bergstiefeln noch sicher gehen können, kämpfen Roland und Rolf zusehends
mit dem unwegsamen Gelände. Und dann wieder der verdammte Nebel!
Schließlich geht es wieder bergab durchs Geröll. An Fahren ist auch
hier eigentlich nicht zu denken. Wir probieren es passagenweise dennoch. Einige
Wanderer machen sich über unser Tun lustig. Sie seien schneller zu Fuß,
als wir mit den Bikes. Nicht böse gemeint, aber irgendwie haben sie recht.
Die Stimmung droht zu kippen. Warum diese Wegewahl? Warum sind wir vorhin nicht
umgekehrt? Und wo zur Hölle kommen all diese Felsbrocken her?
Galgenhumor macht sich breit, es muss an der inversen Schwerkraft liegen beschließen
wir letztlich. Die tritt hier ab und zu auf, dann rollen all die Felsen aus
dem Tal nach oben und versammeln sich hier, um den Weg so unwegsam zu machen.
Die inverse Schwerkraft sollte heute Abend wieder zuschlagen, aber davon ahnen
wir jetzt noch nichts. Besser so.
Dann lichtet sich der Nebel, auch besser, oder eben nicht? Wir sehen den an
der anderen Talseite gemütlich nach oben laufenden Trail…ohne Felsgewirr
und sinnloses rauf- und runterzerren der Bikes. Das wäre unsere eigentlich
geplante Aufstiegsroute gewesen!
Zehn Minuten später ist die Weggabelung erreicht. Ab hier geht es leichter
bergan, das Gelände wird einfacher, der Untergrund besser begehbar. Wir
rasten kurz und brechen bald auf, den Rest des Anstieges zu bewältigen.
Das Wetter bessert sich zusehends, der Nebel hat sich größtenteils
verzogen. Die Sonne scheint zwischen den dunklen Wolken hervor.
Kurz vor dem Augstbordpass wird das Gelände nochmals etwas flacher. Wir
können einige wenige Meter fahren, ein Schafherde flüchtet vor uns.
Dann der steile Schlußanstieg. Nochmals geht es knapp 250 Höhenmeter
in schmalen Serpentinen bergauf. Dave geht wie immer voran. Ich versuche mit
allen Kräften Schritt zu halten, aber es gelingt mir einfach nicht, ihm
mit seinem abnormen Steigtempo zu folgen. Als er den Pass erreicht, bin ich
wieder um 2 Serpentinen hinter Dave zurück gefallen. Oben weht ein eisig
kalter Wind. Hinter Felsen gekauert ziehen wir die warmen Jacken an und schnallen
die Protektoren um.
Wir blicken gen Westen in Richtung Meidpass (2.790 m). Irgendwo
zwischen den ganzen Zacken
am Horizont ist der nächste Übergang versteckt. Was sich davor
befindet beruhigt uns aber zusehents: Eine Schotterpiste führt weit nach
oben zu einer Alm. Wir werden dort die Bikes nicht wieder 950 Höhenmeter
nach oben schleppen, wie wir es soeben am Augstbordpass tun mussten.
Aber die Schinderei hat sich gelohnt und wir werden mit einer traumhaften Abfahrt
belohnt. Ich könnte an dieser Stelle abermals von verblockt, technisch
anspruchsvoll, flowig, holy, lohnend und einfach nur schön erzählen.
Ich erspare es dem Leser dieses eine Mal und gehe gleich zum Abschluss über:
Der Trail führt bis ins Tal, den Schotterweg weiter unten kreuzen wir natürlich
nur und schließlich endet der Pfad direkt im Biergarten des Hotels Schwarzhorn.
Wir können direkt von den Bikes auf die Bierbänke umsteigen und schnell
ist eine Portion Spagetti bestellt. Dies wurde auch mal wieder Zeit, da wir
inzwischen ziemlich ausgehungert waren. Hier unten im Tal scheint die Sonne
und es ist bedeutend angenehmer als auf dem zugigen und kalten Augstbordpass.
Die Auffahrt zum Meidpass bewältigen wir zunächst angenehm steigend
auf Schotter. Der Blick ans Ende
des Turtmanntales ist beeindruckend. Das 4.506 Meter hohe Weisshorn mit seiner
mächtigen schneebedeckten Nordflanke bildet hier den Talabschluss.
Der Schotterweg führt hinauf bis 2.340 m, zur Oberen Staffelalm von Meide.
Danach geht es weiter auf einem Trail. Er ist teilweise fahrbar und führt
entlang von Seen und eine sumpfige Almwiesen zum Pass. Alles in Allem bewältigen
wir in knapp zwei Stunden die etwas langwierige Schiebepassage durch das wellige
Gelände.
Dann sehen wir jemandem, mit dem wir hier oben eigentlich nicht gerechnet haben
- einem Mountainbike-Kollegen! Aus der Ferne wundern wir uns zunächst,
warum er den doch gar nicht so schweren Trail hinab schiebt, dann wird uns klar
warum. Er hat an seiner Federgabel Radtaschen montiert! Wir begegnen ihm schließlich
und kommen ins Gespräch. Er ist vor einigen Tagen in Verbier gestartet
und führt eine komplette Outdoorausrüstung inkl. Zelt, Kocher und
Isomatte mit sich. An technischen Abfahrten hat er keinerlei Interesse und genießt
stattdessen beim langsamen und gemütlichen Schieben die eindrucksvolle
Landschaft. Unser Sport hat wirklich viele Facetten!
Wir verabschieden uns und nähern uns dem letzten 200 hm Tragestück
direkt unterhalb des Übergangs. Die Landschaft hier ist völlig anders
als an dem heute Vormittag überwundenen Augstbordpass. Ein See,
anderes Gestein, wesentlich zerklüfteterer Fels und eine offene, von flachen
Senken durchsetzte Topografie. Nur eines ist gleich geblieben: wieder dieses
Geröll, diese Steine. Inverse Schwerkraft, alles klar!
Dann endlich sehen wir den Meidpass aus
der Nähe. Die letzten Meter überwinden wir auf einem schmalen
Pfad. Der Untergrund ist locker, der Übergang ähnelt einem riesigen
Schotterberg. Oben angekommen ist es wieder extrem kalt und windig.
Gerade eben wird der Wegweiser oben auf dem Pass erneuert. Die Mitglieder des
regionalen SACs sind ziemlich erstaunt darüber, hier oben vier Biker anzutreffen
und machen sogar ein paar Fotos von uns neben den neuen Schildern.
Dann beginnt die Abfahrt. Der lockere Untergrund erfordert eine perfekte Dosierung
der Bremsen, schließlich wollen wir bei unserer Befahrung keinerlei Spuren
hinterlassen. Mit dem Versetzen des Hinterrades in den Kehren gelingt uns dies
trotz des schwierigen Terrains ganz gut.
Bald haben wir auch den Felsbereich verlassen und fahren fortan auf flowigen
Almwiesentrails ab. Einzelne kleine Felsbrocken laden zum Springen ein. Wir
queren noch ein, zwei Bäche. Zum zweiten Mal kommen wir heute in den Genuss
einer Abfahrt, die besser ist als wir erwartet hatten.
Dann erreichen wir nach fast 800 Höhenmetern Abfahrt einen Schotterweg.
Er führt uns auf einer Höhe von 2.200 Metern vorbei an St.
Luc (1.655 m) nach Chandolin (1.920 m). Zumindest
fast, denn bei Pardi Modzes (2.180 m) begehen wir einen folgenschweren
Fehler!
Statt auf dem Schotterweg direkt abzufahren, wollen wir auf dem am Hang entlang
laufenden Trail weiterfahren. Dies wäre prinzipiell auch kein Problem,
aber nach einigen schönen Metern beginnt der Trail ruppiger zu werden.
Zudem ist er immer wieder mit widerlichen Gegenanstiegen und unfahrbaren, verblockten
Passagen gespickt. Inzwischen ist es spät geworden, wir haben nichts mehr
zu trinken und kommen nur sehr langsam voran. Während Dave und ich auf
den technisch höchst anspruchsvollen Abfahrtspassagen noch Spaß daran
haben diese fahrend zu bewältigen, sind Rolf und Roland schon längst
dazu übergegangen den Weg komplett zu schieben. Kurz vor Chandolin bessert
sich der Wegzustand erheblich und wir können die letzen zwei Kilometer
auf einem flowigen Abschnitt nochmals genießen.
Inzwischen ist es spät geworden, fast 18.00 Uhr. Wir wollten eigentlich
spätestens um 20.00 Uhr in Sion (491 m) sein. Dazwischen
liegen noch eine Trailabfahrt und mindestens 25 km Straße. Und Wasser
finden wir auf Anhieb auch keines. Dann wird es hektisch, die Abfahrt nach Fang
(1.000 m) ist beschildert. Wir fahren los, das Schild weist nach links, ich
fahre in eine steile Holztreppe. Auf einmal schlägt sie zu - die inverse
Schwerkraft! Shit, die Treppe kommt auf mich zugeflogen, ich strecke die Arme
nach vorne aus, lande mit gestrecktem Arm zuerst. Überschlag! Dann kommt
das Bike und erschlägt mich fast von hinten.
Dave kann hinter mir gerade noch stoppen. Rolf und Roland stehen kopfschüttelnd
oben an der Treppe. Ich raffe mich auf, schleppe mich und mein Bike wieder nach
oben. OK, ich habe genug von Treppen. Es muss auch einen Weg außen herum
geben. Die Teerstraße führt in Serpentinen durch den Ort und kreuzt
den Wanderweg sicher noch einmal. So kommen wir immerhin auch an einen Brunnen
vorbei.
Erst jetzt bemerke ich, dass mein linker Arm beim Sturz doch etwas abbekommen
hat. Aber wir haben keine Zeit uns lange darüber Gedanken zu machen. Es
geht in den Trail. Er macht Spaß, ist gut zu fahren, zumindest theoretisch!
Ich kann die Vorderbremse nicht mehr bedienen, jeder Schlag vom Untergrund verursacht
höllische Schmerzen im Unterarm. Ich befürchte das Schlimmste - einen
Armbruch. Irgendwie mogle ich mich durch den Trail. Ich kann nur noch hinten
bremsen, zumindest kurze Zeit. Dann glüht die Scheibe, Fading, ich rolle
in einer Linkskehre einfach geradeaus. Es hat keinen Wert mehr. Ich schiebe
abwärts, flache Passagen lasse ich das Bike rollen, dann versuche ich wieder
zu fahren…bis die nächste ruppige Passage wieder höllische Schmerzen
induziert.
So jetzt ist Schuss! Ich lade den Rucksack ab, suche mir ein Stück Holz
und bastle mir mit meiner Reepschnur eine provisorische Schiene an den Arm.
Meine Begleiter schütteln ungläubig den Kopf und halten mein Tun für
ziemlich abwegig. Aber die Sache hilft, ich kann die restliche Abfahrt fahrend
bewältigen und gelange so halbwegs sinnvoll ins Tal.
Die restlichen Kilometer durch das enge und schöne Val d´Annviers
legen wir auf der Straße zurück. An einer weiteren Trailsuche habe
zumindest ich heute keinerlei Interesse mehr. Mir wäre ein Krankenhaus
gerade lieber.
Dann muss ich noch einmal stoppen. Die Verschnürung meines Armes führt
zu einem Blutstau, die Hand wird pelzig. Ich entferne die notdürftige Schiene
wieder und hänge den Arm im Rucksackriemen ein. Weiter geht es hinab nach
Sierre (533 m). Es ist 19.00 Uhr. Ich überlege kurz hier
schon ein Krankenhaus aufzusuchen, beschließe aber doch noch bis Sion
weiter zufahren.
Auf der Hauptstraße geht es bei widerlichem Gegenwind Richtung Westen.
Dave fährt voraus und sorgt für Windschatten. Nach 15 Kilometern gegen
den Wind haben wir Roland und Rolf verloren, sie konnten das Tempo von Dave
nicht mithalten. Um 19.38 Uhr erreichen wir schließlich Sion. Doch wo
ist ein Krankenhaus? Wir entdecken ein H Symbol auf einem Verkehrsschild, folgen
diesem und irren in irgendwelchen Vororten herum. GPS? Fehlanzeige. In der rudimentären
Basismap sind keinerlei Informationen hinterlegt. Das Nachfragen bei einigen
Passanten führt uns nicht weiter. Eine Infotafel mit Stadtplan führt
uns weg vom eigentlichen Ziel, hin zu einer am Sonntagabend eh geschlossenen
Ambulanz.
Schließlich wird mir die Sache zu bunt. Ich habe Hunger, bin verschwitzt
und will mein Bike in einer sicheren Garage statt in irgendeinem Krankenhausflur
verstaut wissen. Daher beschließe ich nun doch die bereits gebuchte Pension
in dem nur 6 km entfernten Vétroz (487 m) anzufahren.
Dort angekommen finden wir auch Rolf und Roland wieder. Wir lassen den Abend mit Raclette und reichlich Rotwein ausklingen. Schnell sind die Schmerzen betäubt. Rotwein ist heute, Krankenhaus kann bis morgen warten…
Fazit:
- Das hätte eines der schönsten Etappentage mit unglaublichen Abfahrten, einzigartiger Landschaft und alpiner Abgeschiedenheit werden können ...
- ... wenn ich von diesem unsäglichen und völlig unnötigen Sturz am Abend verschont geblieben wäre.