Hunger und schwüle Hitze
66 km • + 1.700 hm • - 3.300 hm
Irgendwann zwischen zwei und drei Uhr. Es ist heiß, wir liegen wie die Sardinen in der Büchse dicht an dicht. Egal in welche Richtung ich mich drehe, ich habe einfach keinen Platz. Zudem dringt ein beständiges Sägen und Rasseln durch meine Ohropax hindurch…ach so, der Magen knurrt auch noch. Endlich schlafe ich wieder ein. Dann geht um mich herum das Geraschel los, die ersten Bergsteiger machen sich abmarschbereit. Dave ist auch schon wach und erzählt was von kurz vor fünf. Also raus aus den Federn.
Frühstück. Aha, eine Kanne heißes Wasser, Instant-Kaffee..OK,
das Überleben ist gesichert. Mürrisch knallt uns der Hüttenwirt
vier Becher auf den Tisch, dazu sieben winzige Scheiben Brot. Belag? Aha, ein
schmuddeliges Plastikgefäß mit einer undefinierbaren braunen Masse.
Marmelade soll das wohl sein, für jeden von uns zwei Teelöffel so
in etwa. Aber wir sind ja eh noch satt vom üppigen Abendmahl gestern.
Nach etwas Überredungskünsten von Rolf bekommen wir Nachschlag - drei
weitere Scheiben Brot in Miniaturausgabe. Zum Glück haben wir für
Später noch ein paar Müsliriegel im Gepäck.
Kurz nach sechs brechen wir auf. Die Hütte liegt noch im Schatten. Leider
passt unser Timing nicht ganz und eine riesige Gruppe Wanderer inklusive Gepäckmuli
startet vor uns. Egal, wir filmen auf der Abfahrt eh noch ein wenig und kommen
nicht viel schneller voran.
Ein Trail führt parallel zum Wirtschaftsweg ins Tal, kreuzt diesen mehrfach
und kommt letztendlich direkt am Abzweig zum Fenêtre de Durand
(2.797 m) heraus. Ab hier geht es fortan bergauf, zunächst noch einmal
einhundert Höhenmeter auf einem breiteren Weg, dann aber bald auf einem
Trail. Wir mischen uns in die Wandergruppe und schieben
und tragen die Bikes hinauf. Endlich verlassen wir den Schatten und genießen
die ersten Sonnenstrahlen.
Blauer Himmel und schönes Wetter erwartet uns heute. Erst gegen Nachmittag
sind Gewitter prognostiziert. Nach einer kurzen Rast geht es weiter und weiter
nach oben. Die Landschaft wandelt sich von grün in das grau und braun oberhalb
der Vegetationsgrenze.
Der mächtige, von Dreitausendern eingerahmte Glalcier
d´Otemma ist im Osten zu sehen, die Bergflanken neben uns sind mit
Schneeresten aus dem letzten Winter bedeckt. Landschaftlich einmalig schön
dieser Übergang.
Schließlich kommen
wir oben an und nehmen uns noch etwas Zeit zum Filmen und Fotografieren.
Dann beginnt die Abfahrt, technisch anspruchsvolle Passagen über Fels wechseln
sich ab mit flowigen und schnellen Abschnitten. Immer wieder halten wir, um
die Abfahrt auf diesem Traumtrail zu filmen. Wir überqueren ein glitschiges
Schneefeld und
schon wieder geht es in den Fels.
Eine Passage für Dave und mich, enge Kehren, steile Stufen…wir werden
gefordert. Dennoch bleibt der Trail für uns komplett fahrbar. Nachdem wir
das felsige Gelände verlassen haben geht es flowig und locker über
einige Wiesen. Ein paar kleinere Felsen verleiten zum Springen und Spielen.
Schließlich erreichen wir nach knapp 500 Höhenmetern Abfahrtsspaß
die Alpe Thoules (2.378 m). Ab jetzt geht es leider auf einem
Schotterweg
weiter. Wir wollen den Talkessel oberhalb von Ollomont (1.356 m) umrunden und
weiter zum Col de Champillon (2.708 m). Unsere Hoffnung hier oben irgendwo eine
bewirtschaftete Alm zu finden wird leider nicht erfüllt. Irgendwie wäre
es jetzt doch ganz nett etwas richtiges essen zu können. Da wir außerdem
noch einen weiteren Übergang vor uns haben und vor den Nachmittagsgewittern
am Ziel sein wollen, beschließen wir kurzfristig die Route zu ändern
und direkt nach Vachery (1.260 m) im Val del Gran S.
Bernardo abzufahren.
Wir folgen dem welligen Schotterweg also bis zur Alpe Baravex
(1.914 m) und stoßen dort auf den Wanderweg Nr. 24. Nachdem wir auf einer
Kuhweide den etwas versteckten Einstieg gefunden haben, werden wir von einem
traumhaften und sehr flüssig zu fahrenden Singletrail durch einen lichten
Lärchenwald überrascht.
Auf einer Höhe von 1.700 Metern spuckt uns der Trail auf einem Schotterweg
aus. Dummerweise schlage ich vor den weiterführenden Trail zu verlassen
und später auf dem Weg 22 direkt nach Vachery zu fahren. Eine Fehlentscheidung
wie sich gleich herausstellen sollte: Unterhalb des Gehöftes Guest ist
der Einstieg des Trails wiederum kaum zu finden. Minutenlang laufen wir ziemlich
genervt auf einer Kuhweide herum und suchen den Weg. Es ist drückend heiß,
wir sind inzwischen seit knapp sieben Stunden unterwegs und wollen schnellstmöglich
die nächste Gaststätte überfallen. Unsere Stimmung ist dementsprechend.
Wir tragen die Bikes wieder die Wiese hinauf zur letzten Markierung. Schließlich
finde ich den kaum noch vorhandenen Trail. Es geht weiter bergab durch hohes
Gras und in engen Spitzkehren. Der Weg war sicher mal schön, sollte aber
dringend mal wieder gemäht werden.
Schließlich erreichen wir gegen 14.00 Uhr den kleinen Ort Vachery. Glücklicherweise
finden wir gleich ein Restaurant und bekommen sogar ein üppiges Mittagessen
mit Nudeln und als Hauptspeise ein paniertes Schnitzel serviert. Endlich was
zu essen!
Wir beratschlagen über die weitere Route. Eigentlich wollten wir direkt
nach Süden über den Col de Met (2.485 m) in Richtung Villeneuve (670
m) fahren, das Wetter verschlechtert sich aber zusehends. Wir entdecken auf
der Karte noch einen möglichen Ausstiegspunkt auf halber Höhe und
fahren den Berg hinauf. Steil hinauf, auf Schotter, im Wald, kleinstes Kettenblatt.
Wir schwitzen wie die blöden…wo man doch einfach das Tal nach Aosta
runter rollen könnte.
Irgendwann wird der Weg flacher, wir haben inzwischen eine Höhe von knapp
1.900 Metern erreicht. Von rechts kommt der Weg Nr. 3c und dann wird uns klar
was uns vorhin nicht aufgefallen ist: Der vermeintlich weiter nach oben führende
Weg geht wieder hinab. Klasse, 500 hm sinnlos den Berg hinauf gefahren für
nichts. Wir versuchen noch einen der auf der Karte eingezeichneten Wanderwege
zu finden, vergeblich, alles zugewuchert und nicht mehr befahrbar. Ich beginne
diesen Berg aufrichtig zu lieben. Wir verlassen den Wald und jetzt beginnt es
auch noch heftig zu stürmen.
In Mendey (1.552 m) verwerfen wir den Gedanken dem Weg 3 weiter
zu folgen und fahren auf der Straße ab. Nach einer völlig sinnfreien
Höhenmetervernichtungsaktion auf Teer stoßen wir bei Champlorenceal
(1.320 m) auf den Wanderweg Nr.1, einem wunderschönen Waalweg in Richtung
Aosta (583 m). Diesen hätten wir eigentlich schon in Vachery
nehmen können und wären nach 10 Minuten wohl hier gewesen. Wir hingegen
fahren im Wald umher und vergeuden über anderthalb Stunden.
Egal, der Weg ist schön und führt uns schließlich bis nach Avie
(1.230 m). Von dort geht es über Teer weiter nach Arpuilles
(1.017 m). Hier beginnt nochmals ein Trail bis hinab in die Altstadt von Aosta.
Der macht nochmals richtig Spaß und wir vergessen schnell die letzten
Stunden.
Leider rollt von Westen das Gewitter heran, so dass uns in der malerischen
Altstadt nicht mal die Zeit bleibt ein Eis zu essen. In der Touristinfo lasse
ich mir kurz den Weg zu einem Bikeshop erklären. Wir brauchen dringend
neue Bremsbeläge!
Der Shop liegt zum Glück in unserer Fahrtrichtung. Wir bekommen für
unseren üppigen Kauf von 5 Satz Louise-Belägen sogar noch 10,-EUR
Mengenrabatt gewährt. Der Endpreis pro Belag liegt somit noch unter dem
Preis der Billigversender aus dem Internet. Ein Schnäppchen gemacht!
Schnell geht es weiter heraus aus Aosta in Richtung Westen. In Sarre
(591 m) beginnt es zu regnen. Die Hotels an der stark befahrenen Straße
sprechen uns nicht an, wir versuchen es daher im Ortskern. Fehlanzeige!
Also weiter bis nach St. Pierre (667 m). Im gleichnamigen Hotel
Ristorante bekommen wir ein günstiges Vierbettzimmer für 100,- (komplett
für alle, inkl. Frühstück). Glück gehabt! Das Abendessen
ist vorzüglich und wir können uns endlich richtig satt essen. Die
Chefin des Hotels versorgt uns bestens, unsere Kleidung wird gewaschen, sie
schaut für uns im Internet nach der Busverbindung und nach dem Wetterbericht
für morgen!
Wenn ich da an die letzte Nacht denke ... besser nicht.